Donnerstag, Juni 17, 2004

Fussball is zum Sterben schoen
Als Einstimmung auf das heutige Auswaertsmatch findet sich folgender Artikel
heute im Standard. Geschrieben von unserem liebsten und einzigen Jesuitenwiesenfussballdichter der (bzw. sein Knoechel) unlaengst Opfer eben
dieser Wiese wurde:

Kommentar der anderen: Der Tod kommt in Vierteln Von Leid und Entsetzen auf dem
Spielfeld - Ist die Fußball-EM eine Vorbereitung auf das Sterben? - Von
Franzobel

Träumt jedes Kind davon, einmal Europameister zu sein, das alles
entscheidende Tor zu schießen? Ich habe oft davon geträumt. Heute bin ich 37
Jahre alt, und muss mich damit abfinden, dass diese EM die Letzte ist, bei
der ich zumindest noch theoretisch teilnehmen hätte können. Bei allen
künftigen wird nicht einmal diese Teilnahme im Geist mehr möglich sein.

Ob das der Grund ist, weshalb ich jetzt immer wieder an das Sterben denke, es
mich nicht ins Strandbad, sondern auf den Friedhof treibt? Dabei ist der Wiener
Zentralfriedhof ja sehr beeindruckend, groß wie die Innere Stadt.
Friedhofsgärtner gibt es, eine eigene Jägerei, die dafür sorgt, dass das
Niederwild nicht alle Blumen von den Gräbern frisst, Bienenstöcke, von denen
aber niemand weiß, was mit dem produzierten Honig geschieht.

Einen Fußballverein gibt es natürlich auch. Vielleicht reiben ja die Spieler
dieses FC Zentralfriedhof ihre Blessuren mit dem Friedhofshonig ein? Neben
allerlei anderen skurrilen Gestalten gibt es auch einen Alten, der einen brauen
Trenchcoat über dunklem Anzug trägt und nur damit beschäftigt ist, unbetreuten
Gräbern ein Grablicht anzuzünden. Mit Säcken voller Kerzen schleppt er sich von
Grab zu Grab, um jeweils die beinahe abgebrannte Kerze durch eine neue zu
ersetzen. Er weiß genau, wie lang jede Kerze brennt, wann er welches Grab
aufsuchen muss. Dieser Herr der ewigen Lichter wird von niemandem bezahlt, er
macht es aus Berufung, Tag für Tag, bei jeder Witterung.

Nur jetzt, während der EM-Spiele hat er gefehlt. Ob auch er sich für Fußball
interessiert? Wer weiß, vielleicht erzählt er ja den Spielverlauf den Toten?
Zwar sterben in einem zweitklassigen Actionfilm 50 Menschen, und auch die
Nachrichtensprecher jonglieren täglich mit Dutzenden von Leichen, und dennoch
ist in der offiziellen Welt nichts so sehr tabuisiert wie der Tod.

Man will nichts hören von einem zähen Kampf und Schmerzen, nichts von Leid, das
nicht wieder gutzumachen ist, nichts von der Verständnislosigkeit, nichts vom
Entsetzen oder davon, dass es jemand rausgerissen hat, er ausgetauscht worden
ist. Und auch wenn jemand stirbt, wird er nicht mehr drei Tage lang aufgebahrt,
sondern möglichst rasch verscharrt.

Der Tod wird ignoriert. Wie passt es da, dass während so einer Fußball-EM schon
bald das große Sterben kommt, sich am Nachmittag und Abend wiederholt und dann
in Kurzfassungen den ganzen Tag bestimmt? Oder wird das Bild der Traurigkeit,
das von Tränenbächen zerfurchte Gesicht der Verlierer, dem die
Nationalflaggenfarbe heruntertropft, wird dieses Entsetzen ganzer Länder völlig
vom Bild der Sieger zugedeckt?

Denn während die einen ausgeschieden sind und tot, haben die anderen überlebt
und lassen sich feiern, bis es auch bei ihnen so weit ist. Gibt es
Untersuchungen darüber, wie viele Selbstmorde und Scheidungen, aber auch
Kinderzeugungen so ein Fußballspiel bewirkt? Wenn Fußball Ersatzkrieg ist, dann
heißt ausscheiden auch sterben, sind am Ende alle gleich.

Aber vielleicht brauchen wir diese Ahnung ja, damit wir uns vorbereiten können
auf das, was einmal kommt. Denn ungerechter als der Tod kann selbst der
parteiischste Schiedsrichter nicht sein, und nicht einmal der unglücklichste
Elfmeter, nicht das größte Pech in der Verlängerung kann mithalten mit ihm.
Vielleicht also ist Fußball nur eine Vorbereitung auf das Sterben? Die Euro ein
Intensivkurs? (DER STANDARD, Printausgabe 17. Juni 2004)

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